Hat man die Karte mit den wichtigen französischen Weinbauregionen vor sich, dann fallen einem zunächst die großen und unverzichtbaren Gebiete Bordeaux, Champagne oder Burgund sowie das umfassende Languedoc im Süden auf. Bei genauerem Blick sollten auf jeder halbwegs brauchbaren Karte aber auch kleinere Appellationen wie Elsass, Jura oder Savoie vermerkt sein. Weniger bekannt ist, dass es auch eine Lothringer Weinbautradition gibt, welche zwei Regionen mit geschützter Ursprungsbezeichnung, also AOC-Siegel, hervorgebracht hat: Côtes de Moselle und Côtes de Toul. Hinzu kommt noch die Landweinkategoerie Côtes de Meuse (IGP).
Tatsächlich war Wein aus Lothringen bis ins 19. Jahrhundert eine größere Nummer. Der Abstieg aus der Beletage lässt sich grob mit drei Stichworten zusammenfassen: Reblaus, Kriege, Industrialisierung – einen ausführlicheren Spaziergang durch die Vergangenheit Lothringer Weine gibt es in diesem spannenden Artikel von Weinblog-Papst ChezMatze. Kleiner Spoiler: Auch hier waren es wieder die Römer, die den Weinbau in die Region brachten.
Keine Metzchen: Die Mosel macht auch in Frankreich guten Wein
In der nördlichen, rund um die Stadt Metz gelegenen AOC Côtes de Moselle geben vor allem weiße Burgunder-Sorten wie Auxerrois oder Pinot gris den Ton an. Die weiter südlich gelegene AOC Côtes de Toul weiß neben Auxerrois auch mit Rotweinsorten wie Pinot noir oder Gamay zu überzeugen.
Die gesamte Rebfläche in Lothringen umfasst nicht mehr als 200 Hektar (zum Vergleich: Allein die Stadt Wien hat eine eigene Rebfläche von mehr als 600 Hektar). Gut 20 Hektar davon bewirtschaftet das Weingut Laroppe. Das kleine Unternehmen ist im zur Côtes de Toul gehörenden Weindorf Bruley ansässig. Bei einem Besuch vor Ort wird unsere Vermutung bestätigt, dass sich „Export“ hier auf Restaurants und kleinere Läden in der Umgebung beschränkt. Und tatsächlich: In der nächstgelegenen Großstadt Nancy finden sich Weine der Côtes de Toul, aber auch der Côtes de Moselle in auffallender Fülle. Man ist also stolz auf seine kleinen Appellationen. Zu recht?
Gris als Aushängeschild Lothringer Weins
Vor mir stehen mit dem Gris von Laroppe und dem Gris sowie dem Auxerrois der Domaine Régina drei Weine der Côtes de Toul auf dem Tisch. Dazu gesellt sich der Les Gryphées vom Chateau de Vaux (kein Bild), eine Weißwein-Cuvée (Auxerrois, Müller-Thurgau, Pinot gris und Gewürtztraminer) der Côtes de Moselle. Letzterer zeigt sich zunächst recht schüchtern, überzeugt dann aber mit schlankem Körper und zitrischen Noten besonders zu leichten Fischgerichten oder einfach als Apéro.
Etwas wuchtiger im Glas dagegen und absolut sortentypisch: der reinsortige Auxerrois der Domaine Régina. In der Nase zeigt er sich sehr gelbfruchtig (auch etwas überreif) mit Tendenz zu satter Honigmelone. Dazu Anleihen von Nüssen und Rosenblättern bei wenig Säure. Insgesamt etwas plump, muss man mögen.
Ein klarer grauer Star
Buchstäblich die Nase vorn hat in diesem Lothringer Mini-Tasting aber der für die Region typische Gris. Beim Vin gris, also zu deutsch grauem Wein, werden Rotweintrauben wie bei der Weißweinherstellung pneumatisch gepresst (keine Maischegärung!), wodurch nur ein sehr heller rosa Farbton entsteht. Ähnlich also wie beim deutschen Weißherbst, nur dass hier mehr als eine Rebsorte in die Flasche kommt. Konkret: Gamay, Pinot noir und Auxerrois.
Auch der Gris von Laroppe (70 Prozent Gamay, 20 Prozent Pinot noir, 10 Prozent Auxerrois) ist zunächst verhalten in der Nase, was ja aber auch auf viele staubtrockene Provence-Rosés der besseres Sorte zutrifft, entfaltet dann aber einen animierenden Säurezug mit ausdrucksstarken Kräuter-Aromen und Silex (Feuerstein). Im Nachhall gestellt sich noch leise Erdbeere dazu. Absolut stark – und das für knappe zehn Euro.
Leicht schwächer auf der Brust zeigt sich der Gris der Domaine Régina (Gamay 85 Prozent, Pinot noir 10 Prozent, Auxerrois 5 Prozent) im direkten Vergleich: Bei geringerem Säurespiel mag er sich auch nach gutem Zureden nicht so recht öffnen. Die filigrane Mineralik- und Erdbeere-Note im Abgang stimmt bei leichter Sommerküche und dem Radio entschwebenden Chansons von Françoise Hardy und Georges Brassens aber durchaus versöhnlich. Als nahezu direkte Nachbarn im Weinberg dürfte hier das leicht voneinander abweichende Rebsorten-Verhältnis keine unwesentliche Rolle spielen.
Ohne Mos(el) nix los
Für ein dermaßen kleines Anbaugebiet verfügt Lothringen über eine beachtliche Auswahl und vor allem Spannbreite von Stilen: von schlank bis vollschlank, von still bis sprudelnd, von weiß bis rot (wenngleich wir auf die Roten in diesem Artikel nicht weiter eingegangen sind. Pinot noir ist hier aber der Hauptakteur) – das alles auf nicht einmal 200 Hektar Anbaufläche. Und in der Mitte natürlich das Aushängeschild der Region: der Gris, alles andere als eine graue Maus.
Für Virginie Grand vom Weingut Laroppe sind für das Weinwunder Lothringen drei Hauptfaktoren verantwortlich: „Lehm- und Kalksteinhänge, die das Tal der Mosel überragen – ein Fluss, der das Klima mildert und Schutz vor dem feuchten ozeanischen Einfluss bietet. Und natürlich die charakteristischen Rebsorten: Auxerrois und Pinot noir sowie der Gamay, der als Verschnitt für den Grauwein verwendet wird.“ Erwähnenswert ist zudem die autochthone weiße Rebsorte Aubin, die ausschließlich auf der Domaine Laroppe angebaut werden darf.
Let’s Metz oder direkt ins Netz
Die geografische Nähe sowie die Verwendung der roten Sorten Pinot noir und Gamay lässt den leisen Verdacht aufkommen, dass hier bewusst in Richtung Burgund geschielt wird. Auf die direkte Frage, mit welcher anderen Weinregion sie die AOC Côtes de Toul am ehesten vergleichen würde, antwortet Virginie Grand, dass es grundsätzlich schwierig sei, hier Eins-zu-eins-Vergleiche zu ziehen. „Ich würde die Côtes d’Auvergne zum Vergleich heranziehen“, überlegt Grand dennoch und fügt erklärend hinzu: „Ein Weinbaugebiet, das es verdient, bekannt zu sein. Bemerkenswert auch wegen der Typizität seiner Weine und des Know-hows der Winzer.“ Gut, die nächste Weinreise geht also an die Loire.
Da die Chance, einen Lothringer Wein in einem deutschen Weingeschäft oder gar Supermarkt zu finden, asymptotisch gegen Null gehen dürfte, bleibt nur der Weg über Metz oder das Netz. Wer eine Postleitzahl aus dem Saarland oder Rheinland-Pfalz hat, darf realistisch über einen Tages-Ausflug über die Grenze nachdenken. Für alle anderen bieten die drei erwähnten Weingüter auf ihrer Homepage aber auch eine Online-Bestellung an. Zum nächsten Picknick mit Quiche Lorraine und Lothringer Pastete wisst ihr also, was zu tun ist.
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