Ein Wein, der so klingt, als könne er es locker mit dem Zaubertrank aus Asterix und Obelix aufnehmen: Erlauer Stierblut. Was ist das für ein Zeug, wo kommt das her und welche Superkraft besitze ich nach dem Verzehr?
Der Reihe nach: Fällt der Begriff Erlauer Stierblut, kann es gut sein, dass einigen wenigen älteren Semestern glatt der Speichel im Mund gerinnt. Denn es gab Zeiten, da war dieser Rotwein das Aushängeschild Ungarns schlechthin (den Tokajer lassen wir mal einen Moment außen vor). Ein süffiger, voluminöser Tropfen, der in Massen hergestellt wurde und auch in der ehemaligen DDR zu den bekannteren Weinerzeugnissen zählte.
Heute würde ein solcher Wein beim Massen- und viel mehr noch beim Fachpublikum sehr wahrscheinlich kaum noch reüssieren. Daher hat sich das Stierblut einer Frischzellenkur unterzogen.
Stierblut: zwei Appellationen sind erlaubt
Unter Erlauer Stierblut oder ungarisch Egri Bikavér versteht man heute eine Rotwein-Cuvée, die aus dem nordöstlichen Anbaugebiet Eger stammt und aus mindestens drei Rebsorten besteht. Früher war Kadarka die tragende Säule in der Assemblage. Da das Stierblut im Laufe der Jahre aber immer dünner wurde (also eher anämisches Kalb als kraftstrotzender Bulle), hat man ihren Anteil im Wein zugunsten des soliden Kékfrankos (Blaufränkisch) runtergeschraubt. Mit dazu gesellen sich in der Regel: Cabernet und Merlot.
Neben dem Anbaugebiet Eger kann ein Stierblut aber auch aus dem südlicheren Szekszárd kommen – hier sind wir also in der Region Südtransdanubien (aber das muss man Erdkunde-Freaks natürlich nicht groß erklären).
Heutzutage kein einheitlicher Stierblut-Stil mehr
Was den Mythos Stierblut heutzutage noch ausmacht, erklärt Mate Szedlcsko im Gespräch mit Traubengucker – er betreibt mit dem BorStore einen ungarischen Weinshop in Berlin:
„Einerseits die Tradition und das Terroir: Es ist seit fast zweihundert Jahren der große Wein in Eger und Szekszárd. Andererseits ist das Tolle an Bikavér, dass es sozusagen ein ‚gehobener Gutswein‘ ist – ein Wein, bei dem nicht die genaue Rebsorte wichtig ist, sondern das Handwerk und der Stil des Winzers und des Weinguts.“
Insofern gebe es heute eine „breite Palette“ an Stierblut-Weinen – von kräftig und intensiv bis hin zu fruchtig modern: „Das hat auch den Nachteil, dass es keinen eindeutigen Stierblut-Stil gibt. Aber dunkle Früchte und Kräuter im Geschmack und lebendige Säure trotz vollmundigem Körper gibt es fast immer.“
Da es so viele Stile gibt, ist es schwer zu vergleichen. Ich würde sie vom Stil her vielleicht eher mit einem südfranzösischen Wein vergleichen – oder die Szekszárdi–Bikavér mit guten Rioja-Weinen.
Mate Szedlcsko
Blut aufgelegt: Der Aderlass ins Glas
Um mich dem Thema geschmacklich umfassend und gebührend zu nähern, stehen nun zwei Stierblute auf meinem Küchentisch (sowohl der Tisch als auch ich sind veterinärmedizinisch blutige Anfänger).
Der Nagy-Eged von Stumpf Pincészet (2018) muss als Repräsentant für das Erlauer Stierblut den Kopf hinhalten (eine Cuvée aus: Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot und Kékfrankos), für die Region Szekzárd greift der Liszt von Twickel (2015) in die Tasten (eine Cuvée aus: Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Kadarka, Kékfrankos, Merlot und Tannat).
Eine blassrote Männerschrift gegen ein tiefes Lila, Lila
Direkt fällt auf, dass der Nagy-Eged das Glas tief dunkel füllt, während der Liszt aus Szekzárd deutlich weniger Farbpigmente mitbekommen zu haben scheint: ein helles Ziegelrot, das man eher vom Spätburgunder kennt. Dazu zeigt er sich in der Nase zunächst recht verhalten und irritiert mit einem vegetabilen Zug, den ich am ehesten als gemüsig beschreiben würde. Hinzu gesellt sich ein traurig-diffuses Aroma von etwas langsam Verblassendem – einen Duft, den man hie und da schon mal bei älteren Menschen wahrgenommen hat.
Auch im Mund schafft es der Liszt nicht, das Gemüsige wegzukomponieren und enttäuscht auch nach dem letzten Satz mit einem unterm Strich recht flachen Auftritt. Vielleicht ist er als 2015er auch einfach schon über seinem Zenit.
Ein gänzlich anderes Auftreten hat der Nagy-Eged, der gleich in der Nase schon selbstbewusst Aromen von tiefdunklen Waldbeeren (auch Pflaume) verströmt. Als tertiäre Aromen runden Leder, dunkle Schokolade und Pfeffer (die Cabernet Franc!) den ersten Eindruck ab. Das ist mal ein Typ!
Im herrlich langen Abgang wird aus der Brom- sogar noch eine Himbeere. Wunderbar geschliffene Tannine lassen dieses Erlauer Stierblut zu einer runden Sache werden. Solch ein Blutbild hebt die Stimmung und freut die Sinne (nur die Leber muss bei 14 Volumenprozent Alkohol noch überredet werden).
Und wo kommt der Name nun her?
Der Legende nach stammt der Name aus dem 16. Jahrhundert, als die Osmanen die Stadt Eger einnehmen wollten. Die zähen Verteidiger zehrten schließlich von der fälschlichen Annahme der Osmanen, dass diese nicht literweise roten Wein, sondern Stierblut tränken – was müssen das für Tiere sein?!
Die Story krankt leider an der Tatsache, dass zu besagter Zeit kein Rotwein in der Gegend hergestellt wurde. Aber was soll’s: Eine gute Geschichte muss nicht wahr sein, stimmen muss sie.
Danke! Wie immer lesenswert, unterhaltsam und aufschlussreich. Liebe Grüße
… wenn das keine Orban Legend ist. Danke, Viktor!