Unter Wein-Freaks gilt die Rhône zweifelsohne als einer der großen Sehnsuchts-Flüsse. Schon auf Schweizer Gebiet kann man spätestens auf dem Genfer See herrliche Selfies mit malerischen Reben voller Chasselas machen. Spätestens hinter Lyon wird es dann aber hochkarätig: Condrieu, Hermitage und Châteauneuf-du-Pape reihen sich gen Süden an den Gestaden wie Perlen auf einer Schnur. Hier ist alles im Fluss.
Gegenüber von Châteauneuf-du-Pape am rechten Rhône-Ufer liegt Tavel – die einzige Region an der Côtes du Rhône, in der ausschließlich Rosé produziert wird (kann man sich als „Fun-Fact“ ruhig mal merken).

Stets kurz vor der Überzuckerung
Wenn an der herrschaftlich angerichteten Tafel also ein Tavel angekündigt wird, kann man sich auf einen kräftigen Rosé einstellen. Dazu lädt man dann noch die brasilianische Torwart-Legende Taffarel ein und schon hat man einen lebendig gewordenen Wortwitz bei sich im Wohnzimmer.
Wieso kräftig? Anders als das Paradebeispiel eines leichten Provence-Rosés kommt sein Stellvertreter aus Tavel deutlich muskulöser daher. Ein Hauptgrund dafür ist der hohe Zuckergehalt der Grenache-Trauben. Die Region Tavel ist derart sonnenverwöhnt, dass die Trauben hier rekordverdächtige Reifegrade erzielen. Ein Alkoholgehalt von 13,5 Prozent ist hier völlig normal.
Deshalb wurde in der AOC Tavel der Alkoholgehalt weiland auf einen Höchstwert von 13,5 Prozent festgelegt. Trotzdem findet man hierzulande nicht selten Tavel-Weine mit einem Alkoholvolumen von satten 14,5 Prozent. Eine Anfrage bei der AOC Tavel höchstpersönlich sowie einem der führenden Weingüter Domaine Corne-Loup (dessen Weine übrigens beim deutschen Weineinzelhändler Jacques‘ verkauft werden, aber dazu später mehr), warum das so sei, blieb leider unbeantwortet. Ob wir da am Ende etwas Großem investigativ auf die Schliche gekommen sind? Na, erstmal was trinken …
Ohne Grenache und Cinsault kein Tavel
Neben Grenache ist hier unbedingt noch die Sorte Cinsault zu erwähnen – beide müssen zu mindestens 15 Prozent im Wein enthalten sein, dürfen aber nicht mehr als 60 Prozent ausmachen. Von einer Anfrage bei der zuständigen AOC, ob das heute noch immer der Fall sei, haben wir dann aber aus Gründen abgesehen.
Lange galt das Herstellungsverfahren von Tavel-Weinen als gut gehütetes Geheimnis. Mittlerweile veröffentlicht die Appellation aber immer mehr Details. Das Verfahren der Wahl ist die kalte Mazeration, die zwischen einem halben und einem ganzen Tag andauert. Manchmal wird beim anschließenden Ausbau sogar ein biologischer Säureabbau (kurz: BSA oder malolaktische Gärung) durchgeführt. Hier wird die straffe Äpfel- in Milchsäure umgewandelt und verleiht dem Wein ein weiteres Aromenspektrum, zum Beispiel Butter oder laktische Noten.
Neben dem kräftig leuchtenden Farbton erkennt man einen Tavel zumeist auch schon am Gefäß: Charakteristisch ist das in vielen Fällen auf den Flaschen verwendete Signet: ein prunkvolles „T“ am Flaschenhals. (Das „T“ steht natürlich für „trinken“ …)
Ein Tavel-Duell als Praxistest
Gehen wir ans (W)eingemachte: Vor uns stehen der Tavel der Domaine Corne-Loup von Jacques‘ (11,40 Euro) und der der Domaine Terre Davau von Rindchen’s (18,50 Euro), beide aus 2023, beides eine Cuvée aus Grenache, Syrah, Clairette und Cinsault.

Frappierend ist in der Tat der erste fundamentale Unterschied in der Nase. Beim Corne-Loup-Tavel werden schlagartig Kindheitserinnerungen wach: Omas hausgemachte Himbeermarmelade oder die roten Em-Eukal-Drops aus dem Krämerladen um die Ecke tummeln sich hier im Glas. Also: Kirsche und Himbeere als konkurrenzlose Primäraromen. Bei einem Restzuckergehalt von 1,5 g/l und einer Gesamtsäure von 4,4 g/l sind wir aber keineswegs auf einem halbtrockenen Primitivo-Level, wo man eben auch häufig mit gekochten Früchten oder Kompott als Aroma zu tun hat, sondern haben eine vitale Säure hinten raus, die auch die 13,5 Prozent Alkohol einigermaßen gut einbettet und Lust auf einen weiteren Schluck evoziert. Schon beim letztjährigen Silvester hat der Corne-Loup zum klassischen Fleisch-Fondue gute Dienste geleistet und sich positiv in die Runde eingebracht.
Ganz anders präsentiert sich der Terre Davau. Statt roter Früchte ist hier ein schwer zu fassender kräuterbasierter Aromen-Komplex in der Nase, auch etwas Pferdestall. Je länger er an der Luft ist, schält sich aber auch eine rote Fruchtnote heraus, die am ehesten an wilde Erdbeeren erinnert. Tatsächlich auch an den geliebten wie gefürchteten Uhudler, dessen amerikanische Wildreben-DNA auch diesen Walderdbeeren-Jasmin-Mix ins Glas bringt. Mit anderen Worten: Dieser Wein ist mit Sicherheit nicht Everybody’s Darling. Zu Bresaola und Fenchelsalami sorgt er hier am Tisch aber durchaus für Wohlbehagen.
Wer noch nie einen Tavel vor sich im Glas hatte, sollte dies unbedingt nachholen. Ob man ihn am Ende mag oder nicht, es ist ein besonderes Erlebnis, versprochen. Getrunken werden sollten die Weine aber unbedingt wärmer als ein frischer, knackiger Rosé – wir sind hier bei 15 oder 16 Grad Celsius.
Ein König sieht rosé
Kleiner geschichtlicher Exkurs: Geliebt wurde der Tavel bereits innig von Ludwig XIV. Ob das ein Grund für seine diversen körperlichen Gebrechen war oder ihm lediglich half, diese besser auszuhalten, soll ein ewiges Geheimnis bleiben. Und auch der Schriftsteller Balzac war nachweislich großer Fan des Rosés aus Tavel. So liest man seine Werke von nun an mit der rosaroten Brille.

Die folgerichtige Frage: Wenn Ludwig XIV. und Honoré de Balzac auf Tavel geschworen haben, schmeckt er mir dann vielleicht nicht auch? Richtig, und jetzt ist geradezu die Gelegenheit dafür. Denn ab April türmen nicht nur Weinhändler ihre sämtlichen Rosés fototapetenhaft in den Schaufenstern, Menschen holen ihren Weber-Grill aus dem Winterschlaf, schieben ihn sorgsam auf die Terrasse oder fallen mit Einweg-Grills in die Stadtparks der Republik ein.
Will sagen: Ein Tavel mit seiner – im Rosé-Kontext – vierschrötigen Art ist der ideale Begleiter für eine Fleischorgie oder gegrilltes Gemüse. Auch zu einer Salami-Pizza oder Lasagne macht er eine gute Figur. Generell: Wo ein zartfrischer Rosé als Weinbegleitung nichts mehr auszurichten vermag, beginnt sein Einsatzgebiet.
Bis heute verfügt der Tavel über ein sagenhaftes Renommee. Halten kann er diese Ansprüche allerdings nicht immer.