Braun-grau gemauerter Turm in Marrakesh. Copyright: Annie Spratt (Unsplash)
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Marokko und Algerien: Weine aus der Wüste

Der sogenannte Rebengürtel bietet optimale Bedingungen für den Anbau von Qualitätswein. Er deckt ein Gebiet ab, das sich auf der nördlichen Hemisphäre zwischen dem 40. und 50. Breitengrad erstreckt (seine Entsprechung auf der Südhalbkugel liegt zwischen dem 30. und 40. Breitengrad). Dabei ist es fast überflüssig zu erwähnen, dass sich diese Zonen in Zeiten des Klimawandels dynamisch verändern.

Umso schwerer haben es teilweise Regionen, die im Süden jenseits des Rebengürtels liegen: etwa Sizilien, Teile Griechenlands und der Iberischen Halbinsel sowie eben der Maghreb.

Spielen Weine aus Algerien, Marokko und Tunesien aus europäischer Sicht nur noch eine Exotenrolle, liegt das jedoch allem voran an politischen und gesellschaftlichen Motiven. In diesen Ländern ist Alkohol zwar nicht so restriktiv untersagt wie in anderen muslimisch geprägten Staaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien, der öffentliche Konsum von Wein (wie auch anderen Alkoholika) wird aber auch hier nicht so gerne gesehen. Dennoch gibt es eine traditionsreiche Weinbauindustrie: Begonnen hatte das Geschäft mit den Reben bereits in der Antike mit der Ankunft der Phönizier (rund 500 v. Chr.), seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Weinproduktion im Norden Afrikas schließlich durch die unrühmliche Kolonisierung durch ein anderes Weinland: Frankreich.

Der große Durst und die Rettung aus dem Süden

Nehmen wir Algerien mal genauer unter die Lupe. 1830 besetzten die Franzosen erste Teile des Landes, 1847 ging Algerien schließlich komplett in eine französische Kolonie über. Und hier wird natürlich auch die Verbindung zum Wein offensichtlich, denn Frankreich sah die Ländereien jenseits des Mittelmeers als eine Art Verlängerung seines Weinanbaugebietes Languedoc. Tatsächlich entstanden auch viele Weine durch die Cuvéetierung von algerischem und südfranzösischem Wein.

Abendstimmung: Der Hafen von Sète im Languedoc.
Die französische Stadt Sète im Languedoc war besonders während der Reblauskatastrophe der wichtigste Einfuhrhafen für algerischen Wein.

Als in den 1860er-Jahren die Reblauskatastrophe mit voller Härte auf Frankreich und den europäischen Kontinent traf, wurde algerischem Wein sogar die Hauptrolle zuteil. Damit vor allem der große Durst der Metropolregion Paris gelöscht werden konnte, importierte man eiligst Wein aus dem afrikanischen Norden. Von der Stilistik war das eine Cuvée aus Carignan, Mourvédre und Alicante – quasi der typisch südfranzösische und hitzebeständige Rebsortenadel -, die aber wiederum nicht an die perfekt ausbalancierten Weine des Bordeaux‘ rankam. Aber in der Not isst der Teufel fliegen …

Algerien – koloniales Kraftwerk der Weinwelt

In Zahlen: Bewirtschaftete das französische Algerien 1878 noch 60.000 Hektar Weinreben, waren es 1885 schon 100.000 Hektar*, Tendenz steigend. Betrachtet man die französische Kolonie Algerien zu Beginn der 1960er-Jahre als eigenständiges Land, wäre es zu der Zeit sogar viertgrößter Weinproduzent der Welt (hinter Italien, Frankreich und Spanien) gewesen.

So sehr sich die Algerier 1962 über die Unabhängigkeit ihres Landes freuten, umso schwieriger war es, den wirtschaftlichen Einbruch durch den Quasi-Wegfall der Weinindustrie zu kompensieren. Denn nach der Unabhängigkeit blieben viele Weingüter verwaist und in den 1980ern wurde nur noch ein Zehntel dessen produziert, was noch zwei Jahrzehnte zuvor erwirtschaftet wurde.

Drei Weinflaschen aus dem Maghreb auf dem Tisch: der MD Excellence, der Royal Mascara and der Boulaouane (Vin gris)
Der Orient-Dreier: der MD Excellence (Marokko), der Royal Mascara (Algerien) and der Boulaouane (Marokko)

Für mehr Oran-Anreicherung!

Heute zählt Algerien immerhin, hinter Südafrika, zu den größten Weinproduzenten des Kontinents. Auf knapp 70.000 Hektar Rebfläche teilen sich sieben Appellationen (AOGs) auf, die meisten davon in Küstennähe. Auf meinem Küchentisch habe ich mit dem Royal Mascara einen Vertreter der AOG Côteaux de Mascara stehen, einem Gebiet, welches sich rund um die weißglänzende Küstenstadt Oran schlängelt. So manchem Bücherfreund dürfte diese Stadt bereits als jene wenig rühmliche Kulisse vertraut sein, in die Albert Camus die Handlung seines Romans Die Pest verlegte.

Auf der Seite des Maghreb-Wein-Anbieters Marokkanische Weine habe ich diesen Rotwein für 13,66 Euro bestellt, eine Cuvée aus Cinsault, Carignan, Grenache, Mourastel, Mourvèdre und Alicante Bouschet (quasi Südfrankreich in Reinform). Sein Baujahr – 2017 – fällt einem beim Einschenken direkt ins Auge: Typisch für die Region ist der Wein nahezu schwarz, im hellen Gegenlicht blitzen aber rostbraune Farbreflexe auf. In der Nase tummeln sich dann Brombeere, rotes Paprikapulver, etwas Holz, Pfeffer und tertiär: Leder. Am Gaumen zeigt er sich zunächst angenehm ausgeglichen bei seidigen Tanninen und einem doch nur mittelschweren Körper (trotz der 14 Prozent Alkohol), dazu ein langer Nachhall, der in Süßholz endet. Einziger Kritikpunkt: Etwas mehr Säure hätte ihm gutgetan, so wirkt er nach dem zweiten Glas etwas dumpf. Das kann aber natürlich auch seinem Alter geschuldet sein, immerhin hatte er sein achtes Lebensjahr bereits überschritten.

Der schwarze Royal Mascara, einer weißen Blume gegenübergestellt.
Man muss nicht immer gleich schwarzsehen. Beim Royal Mascara fällt alles andere aber wirklich schwer.

Marokko: Reben für Resorts

Eine sehr ähnliche Weinhistorie weist Algeriens westlicher Nachbar Marokko auf. Die Römer brachten Weinreben vor allem rund um ihre Siedlung Volubilis, in der Nähe der heutigen Stadt Meknès, zum Blühen. Heute stehen auf rund 50.000 Hektar Reben, die zu Wein verarbeitet werden, den zuvorderst Touristen in Bars und Hotels trinken – ein Markt: Immerhin ist Marokko das meistbesuchte Land des Kontinents. Eine prominente Ausnahme bildet aber der Vin gris aus Boulaouane, der bis heute in den französischen Supermärkten überlebt hat.

Bei Vinatis habe ich mir diese Cuvée aus Cinsault und Grenache von der Domaine de Khmis für 7,20 Euro bestellt. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin begeistert. Für diesen Preis bekommt man einen wirklich freundlichen und spaßbringenden Aperitif ins Haus, der aber auch als seriöser Essensbegleiter (etwa zu Muscheln oder Fisch) taugt. Das helle Lachsrosa changiert dabei schon deutlich ins Orangefarbene (typisch für Vin gris, mehr zum Thema gibt es hier). In der Nase: reife Erdbeeren, am Gaumen bleiben die roten Früchte natürlich weiter hängen, dazu gesellt sich etwas Pfirsich und eine Kräuternote. Insgesamt ein leichter Körper mit wirklich genau dem richtigen Maß an Säure. So bringt Sommer auch im Winter Spaß!

Vin gris aus Marokko: der Boulaouane der Domaine de Khmis
Ist das eine Fata Morgana? Nein, es ist echt: Trink das, es wird dir guttun.

Wenig Reife und Lederjacke – wie der Mensch so der Wein

Etwas enttäuscht bin ich dagegen vom dritten Wein im Bunde, dem MD Excellence Cabernet. Dieser Wein der Domaine des Ouled Thaleb, einem der ältesten Weingüter an Marokkos Westküste in der AOG Zenata, ist ein reinsortiger Cabernet Sauvignon (bestellt habe ich ihn über Conder Wines). Und das merkt man auch gleich in der Nase: Wuchtiges Leder, Erde, etwas Pfeffer und dunkle Früchte. Im Mund wird’s dann aber rasch einseitig: Der 2022er Jahrgang zeigt sich noch sehr pubertär und unreif mit rüden Tanninen und einer sich zu sehr in den Mittelpunkt spielenden Säure. Alles andere als ein harmonischer Wein, dem sein jugendlicher Leichtsinn vielleicht noch durch ein paar Jahre im dunklen Keller ausgetrieben werden kann.

Traubenhaftes Tunesien mit französisch-italienischem Einfluss

Ganze sieben Appellationen (AOCs) weist das kleine Tunesien auf. Bis auf die AOC Thibar tummelt sich der Rest vom Fest in mittel- und unmittelbarer Küstennähe. Insgesamt kommt man auf knapp unter 30.000 Hektar Weinanbaufläche. Neben dem französischen Einfluss durch die unrühmliche Kolonialzeit, gab es aber auch immer wieder italienische Siedler, die hier auf der anderen Seite des Mittelmeeres ihr Glück versuchten. Und auch der Weinbau profitiert bis heute vielerorts vom Einfluss der italienischen Gemeinschaft.

Die Voraussetzungen dafür, dass Weine aus Marokko, Algerien oder Tunesien sich ihrer Exotenrolle entledigen und weltweit Karriere machen, sind derzeit nicht gegeben. Zu sehr wird die Produktion und der Verkauf von Alkohol in den muslimischen Ländern unter der Knute gehalten. Der stetig wachsende Tourismus in Marokko ist aber beispielsweise eine hervorragende Basis für einen Austausch von hiesigen Weinen und der Welt dort draußen. Und, wer weiß, vielleicht animieren meine beschaulichen Kurzrezensionen aus diesem Artikel hier ja auch den ein oder anderen Leser zum Kauf eines maghrebinischen Weines, Sahara-Staub inklusive. Apropos, ich werde gleich mal meine angestaubte Tajine aus dem Keller holen und schauen, welches Gericht aus 1001 Nacht ich zum nächsten Schluck Boulaouane kredenzen kann.

*(Quelle: „French Wine: A History“, Rod Phillips)

One comment on “Marokko und Algerien: Weine aus der Wüste

  1. Mon Dieu, lieber Traubengucker, Dein Artikel beamed mich Jahrzehnte zurück! Wer wie ich den gesamten Norden Afrikas mit seinen Wüsten, Gebirgen und Oasen bis runter nach Tamanrasset mit einem alten Landrover durchquert hat, der hat beim Lesen sofort wieder den warmen sandigen Schluck Wein auf der Zunge! In jedem Winkel des Wagens versteckte sich Wein. Zunächst natürlich Frankenwein, durch alle Grenzen geschmuggelt. Im zweiten Wasserkanister ein 18grädiger Roter aus der Nähe von Genua …. und als das alles weg war, waren wir wie Trüffelhunde auf der Suche nach Regionalem.

    Die Suche war abenteuerlich. In den kleinen Hotels größerer Oasenorte entdeckten wir Dinge, die wir schier nicht glauben konnten. Uralte teure Bordeaux z.B. Nur teilweise noch trinkbar. Beim heimlichen Tausch auf den Wüsten-Polizeistationen, bei denen wir uns an-und abmelden mußten ( Konserven gegen Wein), stießen wir dann auf die algerischen und marokkanischen Gewächse. Verrückte Tastings bei Sonnenuntergang auf einer Düne in der Nähe des Schlafplatzes. Rotweine, die wir im Fahrtwind in nassen Tüchern etwas kühlen konnten. Bei jedem Schluck war Sand auf der Zunge, aber der war ja auch in der Zahnpasta.

    Und all diese Erinnerungen hast Du jetzt wieder heraufbeschworen. Ich muss mir dringend eine marokkanische Cuvée besorgen …

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