Sylt statt Sancerre, Mecklenburg statt Medoc und Lüneburger Heide statt Langhe? Was zunächst wie ein aberwitziger Affront klingt (zumindest für Weinfreunde), ist eine zumindest halbwegs ernstgemeinte Fragestellung. Denn klassischer Weinanbau orientiert sich aufgrund des Klimawandels und immer mehr abenteuerorientierten Winzerinnen und Winzern stetig weiter gen Norden.
Nun sind Weingüter in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern schon längst keine Nachricht mehr, die Scharen hinterm Ofen hervorlockt. Trotzdem bleibt es ein mehr als interessantes Thema, zumal witterungsbedingt (denn Sylt ist noch lange nicht Sancerre!) hauptsächlich PiWi-Sorten eingesetzt werden. Also widerstandsfähige Kreuzungen, die in Zukunft weltweit immer mehr Weinberge bevölkern werden. Ein weiterer Vorteil: Sie sind durch ihre Widerstandsfähigkeit auch automatisch nachhaltiger, da zu ihrem Schutz weniger gespritzt werden muss – quasi zwei Rebläuse mit einer Klappe.
Das ist der Gipfel: Ein Weinberg in der Holsteinischen Schweiz
Legen wir los mit einem Weinberg mitten in der Holsteinischen Schweiz. Die höchste Erhebung ist hier der Bungsberg und ist gerade mal so hoch wie zwei aufeinandergestapelte Alphörner. Auch Käsefondue sucht man hier vergebens. Nichtsdestotrotz bietet die hügelige Landschaft Potential für Weinbau. Das haben sich auch Melanie Engel und Karsten Wulf vom Weingut Ingenhof, knapp sechs Kilometer nördlich von Malente entfernt, gedacht. Auf einer Fläche von mittlerweile acht Hektar betreiben sie eines der nördlichsten Weingüter der Bundesrepublik.
Dabei vertrauen sie ausnahmslos auf robuste, pilzwiderstandsfähige PiWis. Einer der aufgehenden Sterne unter den PiWi-Sorten ist zweifelsohne die weiße Souvignier Gris (Kreuzung aus Seyval Blanc und Zähringer). Sie bevölkert rund 205 Hektar Anbaufläche in Deutschland.
Der Engel mit dem Eisbonbon
Oft wird Souvignier Gris geschmacklich mit dem nicht nur hierzulande immer beliebter werdenden Grauburgunder verglichen. Auch der Souvignier Gris „Engel No.1“ vom Weingut Ingenhof hat einen mindestens mittelvollen Körper und geizt nicht mit gelber Frucht. Leider gesellt sich auch Eisbonbon-Aroma dazu, was eventuell ein Hinweis darauf sein könnte, dass der Wein recht kühl vergoren wurde – bei Wein nicht so mein Ding (werde ich mir aber für die nächste Erkältungswelle merken und ans Bett stellen).
Hart im Nehmen: Regen ist Regent egal
Aber am Ingenhof sieht man auch rot: Hier sind die robusten Sorten Regent und Cabernet Cantor die Aushängeschilder. Ersterer steht halbtrocken ausgebaut aus dem Jahr 2020 vor mir auf dem Tisch. In der Nase drängen sich zunächst Gewürz-Aromen auf: etwas Pfeffer, Nelke und tatsächlich auch die auf der Ingerhof-Homepage erwähnte Minze. Dazu ein entfernter Klang Erdbeermarmelade. Im Abgang gibt’s noch einen Korb Waldbeeren dazu.
Ein gut produzierter Wein, der sicherlich seine Fan-Base innerhalb der Primitivo-Gemeinde findet. Für fortgeschrittene Pinot-Anhänger dagegen eher weniger verlockend.
Im Norden maximal Landwein
Übrigens: Auch wenn Wein aus dem hohen Norden hie und da qualitativ überzeugt, darf er sich nicht Qualitätswein nennen. Dies ist nur Weinen aus den 13 zugelassenen deutschen Anbaugebieten (Rheingau, Rheinhessen, Baden etc.) vorbehalten. Bei Einhaltung gewisser Bestimmungen ist aber die Kategorie Landwein gültig. Eine Liga drunter turnt nur noch der Deutsche Wein rum, der die ehemalige Bezeichnung Tafelwein ersetzt.
Ein Verzeichnis aller PiWi-Sorten sowie weiterführende Infos, findet Ihr auf der umfangreichen Seite PiWi International.