Es gibt erstaunliche viele Alltagsbegriffe, die auf -beutel enden: Teebeutel, Jutebeutel, Kulturbeutel, Herzbeutel … Ich könnte diese Reihe noch etwas weiterführen, habe aber die diffuse Angst, dass Beutel am Ende so ein Begriff sein könnte, der mich – wenn ich länger darüber nachdenke – zielsicher in die nächste Anstalt führt. Deshalb setze ich nun den Punkt hinter: Bocksbeutel.
Der Bocksbeutel steht, durch die deutsche Brille betrachtet, für Qualitätsweine aus dem Anbaugebiet Franken. Seit 1989 wurde dies auch in EU-Recht gegossen. So unterliegt er einer strengen Qualitätsweinprüfung und muss bei der Lese mindestens 72 Grad Oechsle vorweisen – Letzteres ist in Zeiten des Klimawandels besonders im knallheißen Franken allerdings keine allzu große Kunst mehr. Das war im angehenden 18. Jahrhundert noch anders und so beschloss der Stadtrat von Würzburg 1728 die gelungensten Weine des Bürgerspitals, zunächst die von der Toplage Würzburger Stein, in diese charakteristische Flaschenform zu gießen. Alsbald wurde die Eingrenzung auf andere Frankenweine erweitert.
Mehr „PS“, weniger Tradition beim neuen Bocksbeutel
Eine, die sich zweifelsfrei mit der Materie auskennt, ist Dietlinde Harm-Reber, Inhaberin der Hamburger Frankenwein-Vinothek „Der Bocksbeutel“. Dass der traditionelle Bocksbeutel für die waschechte Fränkin eine Herzensangelegenheit ist, wäre noch allzu vorsichtig formuliert – sie lebt das Format: „Die Philosophie hinter einem Wein im Bocksbeutel ist so genial wie einfach“, beginnt sie ihre Lobeshymne und fährt fort: „Die sinnliche Harmonie, die diese runde, zum Streicheln einladende Form signalisiert, ist dem Wein darin auf den Leib geschrieben. Bei allen meinen Winzern war der Wein im Bocksbeutel immer der authentischste und in höchster Qualität; Signature-Weine würde man heute sagen.“

2015 wurde die gemütlich fränkische Weinordnung aber jäh auf die Probe gestellt, als eine Neuauflage der ikonischen Flaschenform aus der Taufe gehoben wurde: Am eckigen Bocksbeutel „PS“, benannt nach dessen Designer Peter Schmidt (ausgerechnet ein Hamburger), scheiden sich die Geister. Während beispielsweise die große wie einflussreiche Winzergenossenschaft Franken ihre Weine von nun an munter in die neue Form schießt, lehnen vor allem die Mitglieder des VDP, darunter das Bürgerspital Würzburg, den neuen Bocksbeutel ab. Und auch im altehrwürdigen Hamburger „Bocksbeutel“ hat die neudesignte Version quasi Hausverbot: „Mit seinen abgekanteten Ecken erinnert er mehr an einen Parfümflakon als an dionysischen Genuss“, bemängelt Inhaberin Harm-Reber das neue Modell und macht deutlich: „All meine Weinlieferanten füllen, nach wie vor, ihre besten Weine in das Original. Wer das nicht für mich tut, fliegt aus der Listung.“
Bock auf Ausnahmen? Hier gibt’s auch Wein im Bocksbeutel
Aber nicht nur in Franken stößt man auf diese Flaschenform in Zusammenhang mit Wein. Innerdeutsch gibt es Ausnahmen für Tauberfranken (beispielsweise die in Baden-Württemberg liegenden Orte Bad Mergentheim oder Wertheim) und – komplett fernab von Franken – für Teile des Baden-Badener Reblandes, konkret für die Stadtteile Neuweier, Steinbach-Umweg und Varnhalt. Die Baden-Badener hatten dies in den 1970er-Jahren vor dem Bundesgerichtshof erfolgreich erstritten (andernfalls wären die Badener baden gegangen …).
Aber auch im äußersten Südwesten unseres Kontinents springt uns diese Flaschenform ins Auge: In Portugal ist sie historisch ebenso gewachsen. Bekanntester Vertreter ist der Mateus, ein halbtrockener Rosé, der seinen weltweiten Bekanntheitshöhepunkt vielleicht in den 1970er-Jahren hatte, als Weine mit ordentlich Restsüße noch en vogue waren. So existiert ein Foto, auf dem Jimi Hendrix – in Sachen Genussmittel sicherlich kein Kostverächter – bestens gelaunt direkt aus einer Flasche Mateus trinkt. Später fand man heraus, dass auch Saddam Hussein davon ein paar Paletten in seinen Kellern bunkerte. Auch ein gestresster Diktator muss abends nach getaner Arbeit schließlich mal Fünfe gerade sein lassen, da wollen wir ihm keinen Strick draus drehen.
Weitere Flaschenformen, die dem Bocksbeutel stark ähneln, gibt es beispielsweise für den französischen Armagnac, den Moscato Giallo aus Südtirol sowie für Weine des chilenischen Weinguts Undurraga.

Ach ja, die Sache mit dem Namen
Bleibt zu guter Letzt noch das Stochern in der Mystik rund um die Namensgebung. Nun erinnert die Form fast schon automatisch an die klassische Feldflasche, deren Ursprung wiederum bis ins Altertum zurückreicht. Nicht ganz so alt ist dagegen die kreative Auseinandersetzung, was die Wortherkunft betrifft.
Um mit der harmlosen Variante zu beginnen, finden wir uns im Niederdeutschen wieder, wo der Booksbüdel für einen Bücherbeutel steht, den Mönche ab dem 14. Jahrhundert, später auch Ratsherren, mit sich herumtrugen. Heute würde man Herrenhandtasche dazu sagen.
Etwas mehr Esprit hat die Lesart, nach der die Flaschenform an den Hodensack eines Ziegenbocks erinnert. Und wer wurde fast immer von einem solchen Bock begleitet? Richtig: Weingott Dionysos! Plötzlich wird die Sache rund.
Gleichwohl mag dieser Aspekt nur nebensächlich sein. Statt muffigen Bücherbeuteln oder pelzigen Tier-Scrota sollten wir beim Öffnen eines Bocksbeutels vielmehr der aus dem Flaschenhals strömenden Aromen gedenken, die von erlesenen Qualitätsweinen Frankens (und wenigen anderen Regionen) wissen lassen.
Auf dass diese traditionsreiche Flaschenform auch in Zukunft für Qualitätsweine steht: Stößchen!