Blick von oben auf die Weinberge von Moldau (Copyright: MOLDAWINE e.K)
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Weinland Moldau: Im Reich des schlafenden Riesen

Unter den lauten Straßen der moldauischen Hauptstadt Chișinău verbirgt sich ein Reich der Stille, ein wahres Labyrinth. In einem Stollensystem mit einer Gesamtlänge von rund 250 Kilometern – also der Strecke Hamburg-Kassel – dienen rund 55 Kilometer allein der Weinlagerung. Unter perfekten Bedingungen werden dort etwa 1,5 Millionen Flaschen gelagert. Damit ist Mileștii Mici der größte Weinkeller der Welt (also gleich nach meinem …).

Mit diesem Superlativ beginnend, möchte ich diesen Monat ein Land auf die Bühne bitten, das – neben Rumänien – als ewiger Geheimfavorit in der Weinwelt gilt: die Republik Moldau. Und ich lege gleich nach: Moldau ist das am dichtesten bepflanzte Weinbauland des Planeten; ganze vier Prozent des Landes bestehen aus Reben. Merkt euch das ruhig, falls ihr auf dem Hocker bei „Wer wird Millionär?“ einmal mit einer Frage aus dieser Richtung konfrontiert werdet.

Blick in den Weinkeller Mileștii Mici unter Moldau Hauptstadt Chișinău. (Copyright: MOLDAWINE e.K.)
Lange Spaziergänge ohne Regenschirm: Im Mileștii Mici gibt es das passende Getränk dazu. (Copyright: Moldawine e.K.)

Perestroika statt Pulle um Pulle

Auf demselben Breitengrad wie das Burgund liegend, kann Moldau eine Rebfläche von rund 130.000 Hektar vorweisen, etwas mehr als alle deutschen Qualitätsanbaugebiete zusammen. Gleichzeitig würde das kleine Moldau flächenmäßig zehnmal in Deutschland hineinpassen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Moldau während seiner Zeit als Teil der Sowjetunion sogar doppelt so viel Rebfläche besaß. Durch eine Anti-Alkoholkampagne von Michail Gorbatschow Ende der 1980er-Jahre schrumpfte die Rebfläche aber wie eine zu heiß gewaschene Fellmütze der Roten Armee. Sein Nachfolger Boris Jelzin war dem Alkoholkonsum bekanntermaßen etwas weniger kritisch gegenüber eingestellt.

Unterteilt wird das Weinland Moldau in drei große Weinregionen, nach EU-Lesart allesamt mit geschützter geografischer Angabe (Kategorie Landwein): Das nördlichste der drei Anbaugebiete Codru, das kleine Ștefan Vodă (klingt wie ein Neuzugang des Zweitligisten SC Paderborn) und Valul lui Trajan ganz im Südwesten. Rebsortenmäßig orientiert sich das junge Land zum einen an Frankreich, vor allem mit der Rebsorte Aligoté (hier blitzt das Burgund wieder auf) oder auch Cabernet Sauvignon. Andererseits werden auch traditionell osteuropäische Sorten wie die rumänische Fetească Neagră (Schwarze Mädchentraube) oder die georgische Rkatsiteli angebaut. 

Zwischen Raritäten und Rhabarber

Bei einem kürzlichen Weinabend, zu dem Moldawine – ein in Deutschland ansässiger Vertrieb moldauischer Premiumweine – eingeladen hatte, wurde ich erneut auf dieses Thema gestoßen. Das Œuvre reichte vom obligatorischen Schaumwein als Büchsenöffner des Abends über Weiß- und Orangeweine bis hin zu wuchtigen Roten.

Interessanterweise standen bei den Weißweinen zwei Neuzüchtungen im Mittelpunkt: Das Weingut Domeniile Vorniceni schickte seinen „Veroica“ aus der gleichnamigen Rebsorte ins Rennen. Mit einem Bukett aus floralen Aromen und Honigmelone wird zunächst viel versprochen – im Abgang aber leider wenig gehalten. Schneller wieder verschwunden ist in diesem Jahr nur der Hamburger Sommer.

Ganz anders der Kandidat vom Weingut Novak, das seinen Wein ebenso nach der Rebsorte benannt hat: „Floricia“ (eine Neuzüchtung, die unter anderem von unserem Riesling abstammt). In der Nase gleich von null auf hundert mit einem betörenden Rhabarberaroma und etwas Gelbfrucht. Im Mund opulent wie ein fetter Viognier von der Rhône. Das Gelbfruchtige bleibt während des wirklich langen Nachhalls vertraut am Gaumen und wechselt im Finish ins Nussige. Wunderbar! (Findet auch meine Weinbegleitung Hans an diesem Abend.) Und wir halten kurz fest: Das germanische System, also den Wein nach der Rebsorte zu benennen, ist doch noch nicht ganz tot.

Der "Floricica" des moldauischen Weinguts Novak.
Eine Neukreuzung, die man sich merken darf: der „Floricica“ des moldauischen Weinguts Novak.

Moldaus Dreiklang und die Mädchentraube

Für Veroica Samson von Moldawine verkörpert die Sorte Floricia gar „das Weibliche im moldauischen Wein“ per se: „duftend, klar, strahlend und dabei erstaunlich ausdrucksstark.“ Und überhaupt wird die Latte beim Vergleich mit renommierten Anbaugebieten selbstbewusst hoch angesetzt: „Wenn ich uns vergleichen müsste, dann mit einem Dreiklang aus Bordeaux, dem Piemont und dem Burgenland“, bemerkt Samson und fügt hinzu: „Doch am Ende bleibt Moldau einzigartig – eine alte Weinwelt, die gerade beginnt, sich neu zu erzählen.“

Den einzigen Rotwein-Flight des Abends entschied der „Larga Valley“ (2018) von Novak im Duell mit dem „Metafora Alta“ (2019) der Gogu Winery knapp für sich (für meinen Geschmack, versteht sich). Die Cuvée aus Fetească Neagră und Merlot erinnerte mich spontan an Pomerol. Macht sich da der Merlot bemerkbar oder hat die Schwarze Mädchentraube Zauberkräfte? Jedenfalls ist der „Larga Valley“ herrlich ausgewogen, die Tannine sanft einmassiert. In der Nase zeigen sich Kirsche, Gewürze (Nelke) und eine Messerspitze Cassis.

Daria Berndt und Viorica Samson von Moldawine (Copyright: Moldawine)
Zwei, die sich mit Moldaus Weinen bestens auskennen: Daria Berndt und Viorica Samson von Moldawine (Copyright: Moldawine e.K.)

Fetească Neagră: Mal noble Diva, mal Discounter-Debakel

Und dass ich mit dem mutigen Bordeaux-Vergleich nicht ganz danebenliege, unterstreicht Veroica Samson mit ihrem Plädoyer für die Fetească Neagră: „Sie ist unser moldauischer Cabernet Sauvignon. Wenn man sie einmal richtig versteht, erkennt man, wie viel Potenzial in ihr steckt – Struktur, Würze, dunkle Frucht und eine ganz eigene, fast mystische Weichheit.“ Eine treffende Beschreibung, die sich rückblickend auf bereits verkostete Fetească-Neagră-Weine gut anwenden lässt.

Das bedeutet freilich nicht, dass die ab und an bei Discountern im untersten Regal stehenden lieblichen Ausgaben der „Schwarzen Mädchentraube“ nun reflexartig aufgekauft werden sollten – die 2,99 Euro würde ich dann doch lieber in drei Packungen Schokorosinen investieren.

Der "Metafora Alta" der Gogu Winery und der "Larga Valley" von Novak.
Zum Schluss sieht man traditionell rot: der „Metafora Alta“ der Gogu Winery und der „Larga Valley“ von Novak.

Falscher Fluss, echter Genuss

Bleibt am Ende nur noch zu klären, was das Land Moldau eigentlich mit dem gleichnamigen Fluss zu tun hat – wo dieser doch gar nicht durchs Staatsgebiet fließt. Nun, tatsächlich gibt es einen weiteren Fluss namens Moldau, auf welchen auch der Name zurückzuführen ist. Dieser fließt ärgerlicherweise aber ebenso nicht durch moldauisches Staatsgebiet, sondern ausschließlich durch den Nordosten Rumäniens. Zu Zeiten des Fürstentum Moldaus – wir befinden uns jetzt im 14. Jahrhundert – war das jedoch anders. Aber das wollen wir jetzt an dieser Stelle nicht ausufern lassen. Wer sich mehr für diesen geschichtlichen Aspekt interessiert, dem empfehle ich diesen wirklich spannenden Wikipedia-Artikel (ruhig zwei Tage dazu freinehmen) oder die knackigere Variante auf der Seite der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Fest steht für mich jedenfalls: Das nächste Glas moldauischen Weines trinke ich direkt vor Ort oder zumindest in direkter Nachbarschaft am Hamburger Moldau-Hafen (falscher Fluss, ich weiß!).

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